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Gedanken zum Freitag

Halima Krausen, muslimische Theologin, Hamburg

Das Ringen mit dem rituellen Gebet

Im Namen Gottes, des Erbarmers, des Barmherzigen. Das Lob gebührt Gott, dem Schöpfer und Erhalter der Welten, dem Erbarmer, dem Barmherzigen, dem Meister des Gerichtstages. Dir dienen wir, und Dich bitten wir um Hilfe. Führe uns den rechten Weg, den Weg derer, denen Du Gnade erweist, die nicht Zorn auf sich laden und die nicht irregehen. (Surah 1, al-Fâtiha)

Nein, hier geht es nicht um Herausforderungen an die Institution des rituellen Gebets im Gegensatz zum spontanen persönlichen Gebet. Es geht auch nicht um das Ringen darum, in einer säkularen Umgebung eine regelmäßige Gebetspraxis lebendig zu erhalten, oder um das jedem Muslim wohlbekannte Ringen darum, das rituelle Gebet als etwas spirituell Sinnvolles aufrechtzuerhalten, das über das bloße Abhaken einer weiteren täglichen Verpflichtung hinausgeht.

Es geht vielmehr um das Ringen, das im rituellen Gebet selbst enthalten ist. Bist du jetzt überrascht? Nimmst du es als gegeben hin, daß die vertrauten Worte und Gesten bestärkend und tröstend wirken sollen, und bist enttäuscht, wenn sie, je nach deinem inneren Zustand, manchmal wie eine leere Gewohnheit erscheinen oder sogar herausfordernde Fragen auslösen? Fühlst du dich unbehaglich oder beschämt wenn du dich ab und zu fragst: "Warum tue ich dies eigentlich? Was meine ich, wenn ich dies immer wieder sage? Was für eine Beziehung habe ich überhaupt zu diesem Abschnitt, der da gerade vorgetragen wird?"

Gegen solche Fragen ist nichts einzuwenden. Sie sind ein Zeichen für einen gesunden, fragenden Geist, der im Laufe der Zeit Nutzen daraus ziehen kann, sie zu stellen und die Antworten herauszuarbeiten. Schließlich ist es kein Zufall, daß man die Gebetsnische in der Moschee als Mihrâb bezeichnet, als Ort der Auseinandersetzung.

Das rituelle Gebet ist tatsächlich eine Begegnung: sicherlich mit Gott, aber auch mit uns selbst und mit denen, die mit uns zusammen beten, sei es physisch in einer Gebetsgemeinschaft oder ideell als Teil jenes großem Kreises um die Stadt Makkah, wo auch immer in der Welt wir sein mögen. Die Vorbereitung auf das Gebet ist daher sowohl eine private, spirituelle Übung, die uns hilft, uns geistig zu läutern und zu sammeln, als auch eine Vorbereitung auf eine sozusagen öffentliche Kommunikation, die Konzentration und geistige Präsenz erfordert. Daher beginnen wir damit, uns selbst zu erinnern: was auch immer unsere Gedanken anzieht oder beschäftigt hält und das durchaus berechtigt ist und womit wir uns später wieder beschäftigen werden, Allâhu akbar, Gott ist größer.

Surat al-Fâtiha ist sowohl eine Einleitung als auch ein Brennpunkt im rituellen Gebet. Sie wird in jeder Einheit jedes Gebets wiederholt. Deswegen besteht da vielleicht eine Versuchung, sie schnell herzusagen, um zum nächsten Abschnitt fortschreiten zu können. Aber es ist der Sache wert, der Empfehlung unserer Gelehrten und Weisen zu folgen, indem man sie langsam rezitiert und über ihre Bedeutung nachdenkt.

Al-hamdu lillâh, das Lob gebührt Gott. Das ist nicht nur das erste, das wir "im Namen Gottes, des Erbarmers, des Barmherzigen" sagen, sondern unter Muslimen ist es eine gewöhnliche Antwort auf die Frage: "Wie geht es dir?" Wenn es gut geht, sagt man: "Al-hamdu lillâh," und zwar aus vollem Herzen und mit einem fröhlichen Gesicht. Wenn die Dinge nicht so gut laufen, neigen fromme Leute dazu, zu sagen: "Al-hamdu lillâh 'ala kulli hâl" (Lob gebührt Gott unter allen Umständen), statt sich über ihre Situation zu beklagen. Wie geht es dir heute im Gebet?

Rabbil 'âlamîn, der Schöpfer und Erhalter der Welten. Wie viele Welten gibt es? Science-fiction-Fans denken vielleicht an die Möglichkeit menschlichen Lebens in anderen Galaxien. Sehr eindrucksvoll, aber so weit brauchen wir gar nicht zu gehen. Meine Welt besteht nicht nur aus den Menschen und Dingen um mich herum, sondern auch aus meinen Wahrnehmungen, Interpretationen und Visionen. Dasselbe gilt für die Welten anderer Menschen. Es gibt so viele Welten, wie es Menschen gibt. Deswegen ist das Töten eines Menschen wie die Zerstörung einer ganzen Welt. Indem wir miteinander kommunizieren, teilen wir Teile unserer Welten miteinander, aber es scheint auch inkompatible Welten zu geben. Und zuguterletzt verändern sich alle unsere Welten im Zuge unserer Weiterentwicklung und durch unseren gegenseitigen Einfluß. Ist das furchterregend? Aber wir sind mit diesen Erfahrungen nicht uns selbst überlassen. Gott ist der Schöpfer und Erhalter aller unserer Welten.

Er ist der Erbarmer, der Barmherzige, der Meister des Gerichtstages. Auf den ersten Blick sieht das wie ein logischer Widerspruch aus, nicht wahr? Barmherzigkeit wird gewöhnlich mit Mitgefühl, Freundlichkeit, Vergebung und Mutterliebe assoziiert, während Gericht Bilder von einem gerechten, strengen, womöglich verurteilenden und strafenden Richter hervorruft. Barmherzigkeit wird als Ursprung der Schöpfung beschrieben, während Gericht mit apokalyptischen Bildern vom Ende assoziiert wird. Zwei scheinbare Gegensätze. Vielleicht ist dir jetzt danach, bei dem Hadith Qudsi Zuflucht zu nehmen: "Meine Barmherzigkeit überwindet Meinen Zorn." Vielleicht kann der Begriff "Mutterliebe" eine Lösung anbieten: eine Mutter, die mehrere Kinder großzieht, braucht einen gut entwickelten Gerechtigkeitssinn, wenn sie sie alle liebt. Dir fallen vielleicht Fälle von Ungerechtigkeit ein, die Leiden verursacht haben und wo sowohl die Barmherzigkeit als auch die Gerechtigkeit es erfordern, daß sie letztendlich ausgeglichen werden, oder dein eigenes Potential, eine Situation richtig oder falsch zu beurteilen, wobei du hoffst, daß Gottes Barmherzigkeit mögliche Fehler ausgleicht. Nun, es gibt täglich fünf Gebete, um dies herauszufinden.

Dir dienen wir, und Dich bitten wir um Hilfe. Tun wir das? Wer ist überhaupt "wir"? Die Mitglieder dieser Gebetsgemeinschaft? Die weltweite muslimische Gemeinschaft, und wenn ja, die ideelle oder die reale? Alle Menschen, die irgendwie mit Gott verbunden sind? Was beinhaltet dieser Dienst? Er wird manchmal mit "Anbetung" übersetzt, aber ist das alles? Gehört es nicht ebenfalls zu diesem Dienst, im Rahmen ethischer Grundsätze zu handeln, indem wir mit unseren Mitmenschen gerecht und freundlich umgehen und unseren Charakter so verfeinern, daß er die schönen Eigenschaften wiederspiegelt, die uns unser Schöpfer gegeben hat? Was auch immer die Antwort ist, wir Menschen machen hier unsere Sache nicht immer gut und bitten um Hilfe - sicherlich einander, aber vor allem um Gottes Hilfe.

Wir bitten darum Gott, uns "den rechten Weg" zu führen, uns die Orientierung zu geben, die wir brauchen, Antworten auf unsere Fragen, die uns ermöglichen, voranzukommen. Wir wollen auf einem Weg gehen, der Gottes Zustimmung und Wohlgefallen findet, indem wir Dinge tun, mit denen wir selbst letztendlich zufrieden sein können. Wir wollen sicherlich keinen Zorn erregen, indem wir anderen Schaden zufügen oder Dinge tun, derentwegen wir uns letztendlich über uns selbst ärgern müssen, und wir wollen sicherlich nicht nach sinnlosen und enttäuschenden Zielen herumirren. Die Bitte um Leitung und Führung bedeutet daher auch, offen für Einsicht zu sein und die Stimme unseres Gewissens wahrzunehmen.

Indem wir dies im Gedächtnis behalten, hören wir den nächsten Abschnitt, der vorgetragen wird, entweder durch unsere eigen Stimme oder die des Imams und versuchen, seine Relevanz für unser Leben zu ergründen. Wir bestätigen, was wir gehört haben, mit einer Beugung und zwei Niederwerfungen und gehen weiter zum nächsten Zyklus. Schließlich sitzen wir als Gäste in Gottes Gegenwart und sprechen Grußworte, das Glaubenszeugnis sowie Segens- und Fürbittgebete.

Das arabische Wort salâh, das gewöhnlich als rituelles Gebet übersetzt wird, bedeutet wörtlich Verbindung: das Gebet soll uns helfen, eine ausgewogene Beziehung zu Gott und zur Schöpfung zu pflegen. Darum schließen wir es mit dem Friedensgruß nach rechts und nach links ab: wir grüßen die Engel, Menschen, Tiere und Pflanzen in der Welt und wünschen ihnen Frieden. So wollen wir dann den Frieden, den wir im Ringen des Gebets gefunden haben, mitnehmen in unser Alltagsleben, um ihn von einem Wunsch für uns selbst und andere umzuwandeln in aufrichtige Bemühungen um mehr Gerechtigkeit, Barmherzigkeit und Frieden.

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Gott, die Nacht vergeht und der Tag beginnt zu dämmern. Wie gern möchte ich wissen, of Du meine Gebete angenommen oder sie abgewiesen hast! Tröste mich also, denn Du bist der Tröster. Du hast mir das Leben gegeben und mich versorgt. Lob sei Dir! Auch wenn du mich von Deiner Tür fortschicken wolltest, ich würde sie doch nicht verlassen, denn ich trage Deine Liebe in meinem Herzen.

Die Anrufung wurde von der Mystikerin Rabi'ah überliefert.
(c) Halima Krausen, 2007

Veröffentlicht am 8. März 2007 / 20. Rabiul-Awwal 1428 von Halima Krausen, muslimische Theologin, Hamburg, ueber ihre E-Mail-Liste "Gedanken zum Freitag"

siehe auch: "Gedanken zur Surah al-Fatiha (Tafkir fi Dhilal al-Qurán)" von Taufiq Mempel, Mitglied im Rat der Sufi-Tariqah As-Safinah, Berlin


Tariqah As-Safinah - 1428 / 2007