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Gedanken zur Surah al-Fatiha (Tafkir fi Dhilal al-Qur'an)

Copyright 1998 Hasan Agha

Ayat Nr.1 al-hamdu lillahi
Al-hamdu lillah ist die urspruengliche Haltung des Geschoepfes gegenueber seinem Schoepfer, denn es verdankt Ihm seine Existenz, und es ist ausgeschlossen, dass eine Nichtbeziehung zwischen Schoepfer und Geschoepftem besteht. Es ist zugleich das stetige Gedenken (dhikr) der Glaeubigen, denn es vergegenwaertigt die innige Beziehung, die zwischen Schoepfer und Geschoepf besteht. Es ist der Grundzustand, das elementare Gedenken aller Geschoepfe im gesamten Universum. Das wird bestaetigt durch das ayat al-hamdu lillahi rabb al-'alamin, Preis sei dem Herrn der Welten und zugleich (woertlich al-'alamin, maennlich-belebte Plurale ndung!) aller Weltlinge, dem Herrn ueber all das, was sich lebend in der Welt sowie zwischen den Welten oder Himmeln bewegt, damit sind die Dimensionen gemeint - (n-dimensionaler Raum in der Mathematik) - , also Engel und Geister.

Al-hamdu lillah (Gottlob) ist aus Dankbarkeit zu sagen, und ist zugleich eine Pflicht, denn wenn eine Gemeinschaft den Raum dieses Gottgedenkens verlaesst, ist sie in der Tat verlassen, weil sie die schuetzende Barmherzigkeit Gottes verlassen hat und nunmehr - ohne diesen rahim-Akt Gott gegenueber - nicht mehr auf Sein rahma (Gottes Barmherzigkeit gegenueber Seiner Schoepfung), - und damit einschliessend - Seine Leitung und Fuehrung hier im Diesseits hoffen darf. Vergleiche hierzu den Qur'anvers: Und fuer den, der sich abwendet vom Gedenken an den Allerbarmer (dhikr ar-rahman), bestimmen Wir einen Satan, der sein Gefaehrte sein wird. 43/36.

Menschen in diesem Zustand sind in der Lage das zu tun, wozu sie auch als vormals normale Menschen in Bosnien, Tschetschenien, Ruanda und an vielen anderen Plaetzen der Welt faehig wurden - naemlich unschuldige Mitmenschen grausam zu ermorden. Innerlich befinden sie sich im Zustand des Feuers (nar), und was diese uns taeglich vorfuehren, sind die Bilder, die sie selbst von der Hoelle (dschehannam) bereits in sich tragen, und die sie nun in die Realitaet ueberfuehren.

Al-hamdu lillahi rabb al-'alamin ist aus oben genannten Gruenden eine voellige Absage an jede Art von Nationalismus, denn er bedeutet nichts weiter als schirk (Vielgoetterei, Polytheismus). Niemand ist naeher zu Gott weil er einer bestimmtem Rasse oder Nation angehoert, sondern o, ihr Menschen, siehe, wir erschufen euch von einem Mann und einer Frau und machten euch zu Voelkern und Staemmen, damit ihr (folgendes) erkennt: der am hoechsten geehrte unter euch vor Gott ist der Gottesfuerchtigste unter euch; siehe, Gott ist wissend, kundig. Qur'an (49,13).

Was waere Europa in diesem Jahrhundert erspart geblieben, wenn sie dieses eine ayat begriffen haetten!

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Ayat Nr.2 Ar-rahman ar-rihim
Diese beiden Attribute Gottes rahman und rahim sind einzeln und im Zusammenhang mit der ganzen Sure (siehe ayat Nr. 1) zu betrachten, und in ihrer Bedeutung so tief, dass nur Gott sie in ihrer Gesamtheit umfassen kann. Einen Teil der Wahrheit behaelt Er bei sich und bewahrt ihn vor dem Zugriff Seiner Geschoepfe, denn der Herr ist der Herr und der Diener Sein Diener.

Wie oben bereits angedeutet, sind die Attribute ar-rahman und ar-rahim gemeinsam zu nennen. Im Verlaufe des Gebetes hat ar-rahman ar-arahim die Funktion, die Verbindung oder die Konzentration, also zumindest das Bemuehen um eine Verbindung zu Gott - egal fuer den Anfaenger in welcher Qualitaet - herzustellen und eventuell zu halten. Denn im genauen Sinne des Wortes bedeutet sala Verbindung. Es hat keinen Sinn, erst bei ayat ihdina as-sirat al-mustaqim aufzuwachen.

Ar-rahman hat fuer den Betenden die Bedeutung, aufzunehmen oder zu realisieren, dass wir von Gott kommen, wir unser Sein Ihm zu verdanken haben, und wir uns nun durch einen Akt des rahim, der den Geschoepfen eigen ist, Ihm durch ein Gebet zu danken, um darin, eigentlich in Ihm, unsere Ruhe und Gelassenheit zu finden oder wiederherzustellen. Diese Haltung sollte sich allerdings nicht im Gebet erschoepfen, sondern muss im Sinne des tauhid jeden Lebensbereich, also gerade die Tat, einschliessen.

Das Bewusstmachen von ar-rahim ist die Realisierung der inneren Ergebung, ein Niederringen des stets rebellierenden nafs (Ich). Denn Allah, Gott, hat Mensch und die dschinnen allein dazu erschaffen, dass sie Ihm dienen und Ihn preisen. Man betrachte nur die Unglaeubigen oder die, die einfach kein Wissen vom Glauben oder von Einheit im allgemeinen haben, wie sich ihre Seelen in Panik vor dem Gebete winden, die dann aber auch im Leben eine Katastrophe nach der anderen erfahren duerfen.

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Ayat Nr.3 Malik yaum id-din

Herr ueber das Juengste Gericht.
Malik yaum id-din ist die Erinnerung, Mahnung und Warnung an den Tag der Abrechnung, dem sich jeder Mensch - ob Muslim oder nicht - gegenueber sehen wird. Dieses ayat soll uns unsere Taten vergegenwaertigen, unser wirkliches Tun. Was habe ich getan, was habe ich nicht getan? Stimmt es mit denn unserem Reden ueberein? Ueber yaum ad-din befragt, antwortete der Prophet Muhammad, salla'llahu aleihi wa sallama, dass dereinst jeder ueber seine Jugend befragt werde und was er gearbeitet habe.

Dieses ayat ist zugleich auch Trost, dass diese dunya (Diesseits) nicht ewig andauern werde, und fuer die Glaeubigen im Jenseits eine Belohnung warte, die ungleich groesser ist, als ihre Bemuehungen hier auf Erden waren. fa lahum adjghun gheiru mamnun Qur'an (95,6).

Gott kommt hier das Attribut malik zu, da Er der alleinige Besitzer, Verwalter und Herrscher (malik) ueber Sein Reich (mulk) und Seine Schoepfung ist, die Er aus dem Nichts erschuf. Wenn Er eine Sache beschliesst, so sagt Er nur zu ihr 'Sei!' und sie ist. Qur'an (2,116). Die Schoepfung ist ineinander, miteinander und untereinander komplex verbunden, was gerade den modernen beziehungsweise den von seinem Schoepfer nichts wissenden Wissenschaftler immer wieder vor schier unloesbare Probleme stellt, da Gott sich die alleinige Einsicht in Sein Reich vorbehaelt und den alleinigen Befehl (amr) ueber es fuehrt, man denke hier nur an die unvorhersehbaren Ueberschwemmungen, Erdbeben und so weiter.

ER brachte die Schoepfung hervor, und wir sind hier nur Sachwalter (khalifa) Seiner Schoepfung. Gott hat also das Recht, von uns eine Erklaerung fuer unser diesseitiges Tun zu verlangen. Und es soll ihnen zugerufen werden: 'Das ist das Paradies, das euch zum Erbe gegeben wird fuer das, was ihr getan habt.' Und die Bewohner des Paradieses rufen den Bewohnern der Hoelle zu: 'Seht, wir haben als Wahrheit vorgefunden, was unser Herr uns verhiess. Habt ihr auch als Wahrheit vorgefunden, was euer Herr euch verhiess?' Jene (werden) sprechen: 'Ja'. Qur'an, (7,42-43).

Yaum ad-din ist eines der Synonyme fuer den Tag des Juengsten Gerichts, yaum al-qiyama, den Tag des Stehens, wo die Menschen auf Gottes Entscheidung ueber dschanna oder dschehannam stehend warten.

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Ayat Nr.4 Iyyaka na'budu wa iyyaka nasta'in
(Nur) Dir dienen wir und (nur) Dich flehen wir um Hilfe an.
Mit diesem ayat wollen wir Gott zeigen, dass unsere Lebenskoordinaten, unsere Dimensionen, die uns umgeben, raeumlich und zeitlich in Gott bestehen. Also in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, denn Gott ist selbst zeitlos, also urewig (Fussnote 1). Wenn wir schlafen, duerfen wir fuer kurze Zeit an Seiner Zeitlosigkeit teilhaben, weil er unsere Seelen zu sich nimmt. Man denke hier an das beruehmte Bittgebet (du'a) des Propheten Muhammad, dass Gott uns wieder unbeschadet in unseren Koerpern aufwachen lassen moege. Und wir kennen ja alle das Gefuehl: Ich habe so tief geschlafen, ich wusste gar nicht mehr, wie spaet es ist... Das ist der Moment, wo Er uns durch Traeume Dinge ueber unseren aktuellen Zustand und unseren Weg im allgemeinen zukommen laesst. ER ist es, Der eure Seelen in der Nacht abruft..., Qur'an, (6,59). Das ist aber nur fuer die Glaeubigen, denn die Unglaeubigen haben immer noch keine Definition fuer den Schlaf. Egal, an welchem Ort der Welt wir uns befinden, wir versichern Gott unserer Loyalitaet.

Zuerst muessen wir uns darueber klar werden, nur Gott zu dienen und keinem System, keiner Ideologie, keinem Menschen und auch nicht nur uns selbst. Man fragte einst den Propheten Muhammad was das beste dhikr sei. Er antwortete: la illaha illa 'llah. Es gibt keinen Gott ausser Gott. Die ganze Bedeutung dieser Aussage zu klaeren, ist hier einfach nicht der Platz, da der Prophet sie aus den Tiefen des tauhid beantwortete. Das einzige, was wir tun koennen und muessen, ist, uns am Seile Gottes festhalten, egal, was um uns herum passiert, dieses dhikr im Herzen zu tragen und feststellen, wie ein System, eine satanische Ideologie die andere in diesem Jahrhundert abloest und Millionen in den Tod gehen. Aber wie oft steht im Qur'an allein sie begreifen es nicht!

Wenn wir das also tun, haben wir das Recht, Gott um Hilfe zu bitten - iyyaka nasta'in - denn das Verhaeltnis ist hier wie bei dem Gottgedenken al-hamdu lillahi wasch-schukru lillah (Gepriesen sei Gott und Dank sei Ihm). Wir koennen Gott nicht einfach um Hilfe bitten oder Ihm danken, wie einem Partner. Als Diener muessen wir uns Ihm in Demut naehern.

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Ayat Nr.5 Ihdina as-sirat al-mustaqim
Ihdina as-sirat al-mustaqim ist fuer den Betenden der Kulminationspunkt der Sure, und leitet formell ihren zweiten Teil ein. Der erste Teil befasste sich mit dem Glaeubigen in seiner Demutshaltung Gott gegenueber als einem Akt der rahimiyya gegenueber dem Schoepfer und war Ausdruck dafuer, dass Gott uns nur fuer sich geschaffen hat, damit wir ein wenig teil an Seinem Licht haben moegen: Und die Dschinn und Menschen habe Ich nur dazu erschaffen, dass sie Mir dienen. Qur'an (51,56).

Der zweite Teil der Sure umfasst die Bitte, uns in Seiner Schoepfung nicht allein zu lassen und uns wie mit einer Lampe oder einem Licht den rechten Weg zu weisen. Wir bitten darum, dass Er uns mit Seinem huda versorgt. Huda (vom Verb hada fuehren, leiten, rechtleiten, schenken, den Spuren folgen) ist einer der zentralen qur'anischen Begriffe und taucht nicht weniger als 348 mal als Verb oder in seinen Ableitungen im Qur'an auf. In ihdina as-sirat al-mustaqim finden wir nun hada im Imperativ stehend vor, was bedeutet gib (ihdi) uns (na) (Dein) huda auf oder fuer den geraden Weg. Ein entsprechendes Bittgebet ist auch in der Bibel zu finden, in den Psalmen des David, 5,9: (O mein) Herr, leite mich in Deiner Gerechtigkeit um meiner Feinde willen; richte Deinen Weg vor mir her.

Ohne weiter darauf einzugehen, dass hiermit die Wahrheit im Qur'an selbst bestaetigt wird und der Qur'an die Realitaeten der Zeiten vor der qur'anischen Offenbarung bestaetigt, in dem Sinne ER hat herabgesandt auf dich (den Propheten Muhammad s.a.s) das Buch in Wahrheit als Bestaetigung dessen, was ihm vorausging. Und Er hat die Thora und das Evangelium herabgesandt vordem als Rechtleitung fuer die Menschen... Qur'an (3,2-3), ist es dieses huda, das alle Geschoepfe in der Natur befolgen, die also genau wissen, wo sie sich hinzuwenden haben, wann sie etwas zu tun haben und so weiter.

Nun ist der Mensch aber ein weit komplexeres System, sozusagen die hoechste Schoepfung, da mit einem eigenen Willen ausgestattet. Dieser eigene Wille ist der Unterschied zu jeder anderen Schoepfung, ist aber zugleich eine Probe, denn uns ist die Moeglichkeit gegeben worden, uns gegen unseren Schoepfer und gegen die Schoepfung zu wenden, nur weil wir unseren Willen durchsetzen wollen. Woran soll sich der Mensch also halten in den Zeiten der Wirren, in der Dunkelheit, die ihn umgibt, wenn er sieht, dass Millionen offensichtlich nur damit beschaeftigt sind, die Schoepfung zu zerstoeren, da man daran verdienen kann? Was ist wahr, was ist falsch? Es gibt - wie immer - viele Meinungen, jeder erzaehlt etwas anderes. Aber die Wahrheit ist immer nur eine. Wir sind also von Seiner Leitung, Seinem huda, weiterhin und immer abhaengig, trotz unseres Willens, ja gegen ihn.

Unser Gott, richte Deinen Weg vor uns her, Amin!

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Ayat Nr.6 Sirat alladhina an'amta 'aleihim gheir'il-magh-dhubi 'aleihim wa ladh'dhalin ...
den Pfad derer, denen Du gnaedig bist, nicht derer, denen Du zuernst, und nicht der Irrenden. Hier wenden wir uns von denen ab, denen Gott Seine Fuehrung nicht mehr gegeben hat oder die diese Fuehrung nicht annehmen wollen, und die nun in unterschiedlichem Grade in die Irre gehen. Das sind diejenigen, die weiterhin behaupten, das Richtige zu tun, denen Gott aber so viele Schleier vor das Erkennen ihrer eigenen Realitaet gesetzt hat, dass sie es nicht erkennen koennen. Diese kann man aus eigener Kraft nicht mehr auf den geraden Weg zurueckholen. Versiegelt hat Gott ihre Herzen und Ohren, und ueber ihren Augen ist eine Huelle, und fuer sie ist schwere Strafe. Qur'an (2,7). Spricht man zu ihnen 'stiftet nicht Verderben auf der Erde', so sprechen sie: 'Wir sind doch die Rechtschaffenen.' (2,10). Es gibt fuer jene also keinen Ausweg, es sei denn auf dem Wege der ehrlichen Reue und der Umkehr, tauba, vor Gott. Diese Tuer ist immer geoeffnet.

Den Mass-Stab der Strafe genommen, ist den maghdhub eine schwerere versprochen als den dhalin, die nur abgewichen sind, denen aber eine Umkehr leichter faellt. Maghdhub sind diejenigen, die die Wahrheit bewusst bedecken (kafara), also die kafirun, die sogar ganze Strategien entwickelt haben, die Glaeubigen vom rechten Wege wegzufuehren.

Unser Gott, mache uns nicht zu einer Versuchung fuer die Unglaeubigen, lass' unsere Herzen nicht mehr irregehen, nachdem Du uns geleitet hast, und schenke uns von Dir Barmherzigkeit, Amin.

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Copyright 1998 Hasan Agha
Fussnote 0: Im strengen Sinne des Wortes handelt es sich nicht um einen tafsir, sondern um die Literaturgattung tafkir, Sich Gedanken machen ueber etwas, aehnlich den Werken fi dhilal al-Qur'an al-karim.

Fussnote 1: Daher lautet eines Seiner Attribute as-samad, der Urewige, nicht versorgungsbeduerftige Versorger, Der, an Den man sich in seiner Not wendet.

Siehe auch: "Gedanken zum Freitag - Das Ringen mit dem rituellen Gebet", von Halima Krausen, muslimische Theologin, Hamburg


Tariqah As-Safinah - 1428 / 2007